Am 20.06.2021 berichteten wir darüber, dass die Bundesregierung einen Brief des RKI an das Bundesgesundheitsministerium zurückhält, in dem deutlich wird, dass bereits am 11.01.2021 klar war, dass die Krankenhäuser die Zahl der Intensivbetten aus monetären Anreizen künstlich reduzieren.
Einige öffentlich-rechtliche Medienportale wollten sich im Juni dann als „besonders investigativ“ präsentieren und schrieben über eben diesen Brief – der ihnen nun „exklusiv“ vorliege. Eine Veröffentlichung des Briefs fand aber nicht statt – das war den Reportern dann wohl doch zu „investigativ“. Stattdessen fand man fast ausschließlich nur einige Auszüge aus dem besagten Dokument.
Wir berichteten ebenfalls über eine Anfrage vom 12.06.2021 an das Bundesgesundheitsministerium bei fragdenstaat.de. Zunächst gab es zwei Antworten des Bundesgesundheitsministeriums, die lediglich hinhalten sollten. Man liest dort Sätze wie:
[…] auf Ihre unten stehende Anfrage teile ich Ihnen mit, dass mit Nachdruck an der Bearbeitung der eingegangenen IFG-Anträge, die vielfach sehr umfangreich sind, gearbeitet wird. […]
Antwort des Bundesgesundheitsministeriumg vom 13.07.2021
Überraschenderweise hat es dann aber das Bundesgesundheitsministerium nur einen Tag später, am 14.07.2021, doch noch geschafft, den enormen Aufwand des Hochladens einer PDF Datei zu bewältigen – und den Brief (teilweise geschwärzt) veröffentlicht.
Der Brief des RKI
Der Briefkopf ist der vom RKI – der Bearbeiter wurde geschwärzt. Gerichtet war der Brief (wie schon vorab bekannt war) an den Staatssekretär Thomas Steffen im Bundesgesundheitsministerium:
Der Text ist – wie von einem Regierungsinstitut zu erwarten – in feinster, gegenderter Sprache verfasst und so stößt man in zahlreichen Sätzen über ein dezentes „Patient*innen“. Er möchte Antwort auf einen Sachverhalt geben, der im Bundesgesundheitsministerium am 09.01.2021 aufgefallen ist:
Bezugnehmend auf Ihre Anfrage vom 9. Januar 2021 erläutern wir mit diesem Schreiben die Hintergründe, warum zwar aktuell die tägliche Anzahl von Neuaufnahmen unter der Zahl der Abgänge liegt, wir dennoch eine fortgesetzte Abnahme der Zahl freier Intensivbetten beobachten.
Die ersten Seiten: unreflektierte Datenwiedergabe
Auf den ersten Seiten wird dann die typische Panik verbreitet – man denkt beim Lesen, man ist in einer Pressekonferenz der Bundesregierung. Beispielsweise liest man:
Seit wenigen Tagen zeigt sich dabei eine leicht negative Differenz mit mehr Abgängen als Neuaufnahmen. Diese Differenz liegt jedoch relativ zur weiterhin sehr hohen Gesamtzahl aktuell behandelter COVID-19 Fälle bisher im Bereich von max. 1-2%. Dieser Anteil sollte damit nicht als relevante Entlastung interpretiert werden.
Belegen soll dies die folgende Grafik, wo wie üblich in düsteren rot-Tönen die Zahl der „berechneten COVID-19“ Neuzugänge auf deutschen Intensivstationen aufgetragen ist:
Warum ist das Ganze unreflektiert? Nun ja. Am 16.05.2021 berichteten wir über Prof. Schrappe, der sich die Lage auf deutschen Intensivstationen ebenfalls angesehen hat und ein „seltsames Phänomen“ beobachtet, was er bei Vergleichen mit dem europäischen Ausland in keinem anderen Land erkannte: Bei uns sind anteilig viel mehr der Covid-Patienten auf Intensivstation… seit KW 18 sind sogar fast 100% der hospitalisierten Covid-Patienten auf Intensivstation:
Woher dies nur kommen mag? Leben die Deutschen so viel ungesünder als zum Beispiel die Franzosen oder die Schweden? Hatten wir bei uns etwa die ganze Zeit die noch aggressivere „German“ Mutante – und hatten nur keinen Test, um sie zu finden?
Nun ja, warum sich über etwas Gedanken machen, was auch die Bundesregierung und das RKI so schön ignoriert… das RKI-Bild passt doch wunderbar in das „Panikprogramm“ der Bundesregierung und wir wollen ja keine unangenehmen Fragen stellen. Also weiter im Brief.
Der unerklärliche Abbau der Beatmungskapazitäten
Weiterhin finden wir folgende Grafik in dem Brief – die dunkelrote Linie haben wir ergänzt – die zeigen soll, dass die Covid-19 Patienten einen nicht zu vernachlässigenden Anteil an den beatmeten Menschen machen:
Auch hier fällt keinem auf, dass die grüne Kurve exakt zu der Zeit nach unten geht, als unsere Regierung die „Sonderzahlungen“ für besonders ausgelastete Intensivstationen einführte (das zeigt die dunkelrote Linie von uns an). Auch hierüber haben wir bereits im April berichtet.
Weiter gehts im „Panikprogramm“, das Thema Beatmung ist noch nicht komplett ausgeschlachtet. Hier soll folgende Grafik die Dramaturgie der ECMO-Situation in Deutschlands Krankenhäusern aufzeigen (ECMO-Kapazitäten sind invasive Beatmungskapazitäten):
Seitdem der Anteil der Covid-Patienten an den ECMO-Pflichtigen gemessen wird (18.12.2020) wird laut dem Bild klar: fast alle Menschen, die an einer ECMO hängen, haben Covid.
Wir haben also in Deutschland die Sondersituation, dass bei uns viel mehr Covid-Patienten auf Intensivstationen liegen und dann belegen die Covid Patienten fast alle ECMOs? Schauen wir uns doch dazu einmal an, was denn ein Krankenhaus für so einen „ECMO-Patienten“ von den Krankenkassen bekommt. Das Ganze wird im „Diagnosis Related Groups“ (DRG) Katalog geregelt, wo verschiedenste Diagnosen und Behandlungen und entsprechende Faktoren zur Berechnung aufgelistet sind. Dazu kommen noch landesspezifische Vergütungsfallwerte. Für eine intensive ECMO Behandlung gibt es beispielsweise:
- Beatmung > 24 h: 12.063,97 €
- Beatmung > 95 h: 39.998,38 €
Das Ganze zeigt: ECMO Patienten sind wahre Goldgruben. Eine ECMO Ausstattung, die nicht genutzt wird, ist für ein Krankenhaus sprichwörtlich „verbranntes Geld“. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich das offiziell hoch gelobte und angesehene „Moerser Konzept“, mit einer spätmöglichsten Beatmung, in deutschen Kliniken nicht durchsetzte?
Aber auch all das wird im Brief einfach ignoriert und man vertraut – in völliger Naivität – blind auf die wunderbaren, farbigen Bildchen und schlussfolgert:
Die Daten des Intensivregisters geben noch keinen Anlass zur Entwarnung, die fortgesetzte extreme Belastung der Intensivmedizin zeigt sich weiterhin im gesamten Bundesgebiet.
Hauptursache für Betriebseinschränkungen: Personalmangel
Richtig spannend wird es dann in dem Brief eigentlich erst ab Seite 4. Hier legen Krankenhäuser, die Einschränkungen durchführen müssen, den Grund für diese offen:
Hier wird ganz klar: In der Pflege fehlt es an Personal (in der Pandemie verloren wir 9.000 Pflegepersonen). Aber keine Angst, das ist auch schon seit Jahren bekannt und unsere Bundesregierung hat dann im Oktober 2020 alle Hebel in Bewegung gesetzt, um qualifizierten Nachwuchs in diesen Bereich zu bringen: „Ehrenpflegas“:
Um Jugendliche für eine Ausbildung in der Pflege zu begeistern, hat das Bundesfamilienministerium die Serie „Ehrenpflegas“ gestartet. Sie informiert auf unterhaltsame Weise über den Pflegeberuf und soll auf die Chancen und die Vielfalt der neuen Pflegeausbildung aufmerksam machen.
Bundesregierung: Fragen und Antworten zu „Ehrenpflegas“
Bei YouTube kann man sich diese wunderbare Werbekampagne ansehen:
Man könnte jetzt die gewagte These aufstellen, dass vielleicht „Aktionen“ wie diese Schuld an dem Personalmangel haben. Eigentlich könnte man das Ganze mit Humor nehmen, zumindest wenn man gänzlich ausschließen könnte, jemals auf solche „Ehrenpflegas“ angewiesen zu sein.
Aber bevor wir zu weit abschweifen, gehen wir jetzt endgültig ans Eingemachte in dem Brief.
Freihaltezahlungen und ihr Einfluss auf die Bettenkapazitäten
Die Hauptpassagen dieses Abschnitts wurden in der Tat schon durch die „Bild-Leaks“ vor einigen Wochen bekannt. Hier aber zunächst der komplette Abschnitt aus dem Brief:
Unabhängig von den Einflüssen der realen Versorgungssituation unterliegt das Intensivregister jedoch zusätzlich dem Einfluss der mit seinen Daten verknüpften Ausgleichszahlungen.
Die Einführung der Freihaltepauschalen im Sommer 2020 und die aktuellen Ausgleichszahlungen seit Mitte November haben monetäre Anreize für eine veränderte Eingabe der Bettenkapazitäten geschaffen.
Zunehmend verpflichten Krankenhäuser hauseigene Controlling-Abteilungen mit der Übermittlung der Daten für das Intensivregister, teilweise offenkundig um monetäre Nachteile für den Standort zu vermeiden. Diese Absichten erreichen das Intensivregister über die Helpdesks in zahlreichen Emails und Anrufen mit teils konkreten Nachfragen um die gewünschten Grenzen zu erreichen.
Es ist aktuell schwer einzuschätzen, in welchem Umfang sich diese veränderte Nutzung des Intensivregisters bereits verbreitet hat, bereits die Zunahme der Nachfrage ist ein Grund zur Sorge.
Letztlich besteht aktuell keine Möglichkeit einzuschätzen, ob die starke Reduktion der freien Kapazitäten vollständig der belastenden COVID-19-Behandlungslage geschuldet ist oder zu einem Anteil auch der angepassten Nutzung durch finanzielle Anreize.
Dabei ist in der aktuellen Lage der unmittelbare und unverfälschte Blick in die intensivmedizinische Versorgungslage von entscheidender Bedeutung und die Besonderheit des Intensivregisters: die Angeben können ungefiltert aus den Intensivbereichen Deutschlands kommen.
Vor allem die Angabe zu „Freien Behandlungskapazitäten“ ist eine zentrale Kennzahl für die Notfall-Koordinatoren für die Verlegungsplanung der schwer kranken Patient*innen. Benachbarte Kliniken und Rettungsleitstellen können sich über die Lage in umliegenden Krankenhäusern informieren, wobei das sich oft mehrmals am Tag ändernde reale Setting beurteilt werden kann. Diese Kommunikation wird durch die parallele Nutzung zur Berechnung von Ausgleichszahlungen empfindlich gestört. Auch hierzu liegen Meldungen von Koordinatoren vor.Damit auch für den weiteren Pandemie-Verlauf die Daten des Intensivregisters möglichst nah der klinischen Versorgungsrealität entsprechen, möchten wir explizit empfehlen, für die Anpassung der Verordnung über Freihaltezahlungen auf die Nutzung von Daten des Intensivregisters vollständig zu verzichten.
Dieses Werkzeug ist in der aktuellen Situation von großer Wichtigkeit, um früh genug regionale Engpässe erkennen zu können und den Notfallmanagern ein Werkzeug an die Hand zu geben, z.B. für die akute wie strategische Verlegung. Dieses dafür geschaffene Werkzeug sollte aktuell nicht durch finanzielle Anreize gefährdet werden.
Interessant ist, dass am Ende das RKI die Bundesregierung fast anzuflehen scheint, solch eine „schlechte Politik“ mit monetären Anreizen nicht noch einmal zu wiederholen. Scheinbar hatte man beim RKI, naiver weise, den Glauben, dass das „DIVI-Intensivregister“ noch zu retten war – man hat nicht erkannt, dass schon im Januar seit Monaten gefälschte Daten gemeldet wurden. Man hätte empfehlen sollen, das „DIVI Intensivregister“ für keine politischen Entscheidungen mehr heranzuziehen, da aufgrund von Fehlanreizen durch die Politik die Daten die Realität nicht ansatzweise widerspiegeln.
Den gesamten Brief gibt es in Kopie bei uns:
Aktuelle News, zu denen wir keine eigenen Beiträge veröffentlichen, findet ihr auf unserer neu eingerichteten Seite: News: Tagesaktuelle Artikel. Ihr findet diese entweder über den Reiter „Aktuelle Beiträge“ oder oben auf der Startseite als Link.
5 Antworten auf „Zurückgehaltener Brief des RKI bei uns veröffentlicht: Betrug bei den Intensivbetten belegt“
Wie man die Pandemie ganz schnell beenden könnte: einfach pro Corona-Fall 10 EUR weniger (statt mehr) zahlen, und zwar an alle Beteiligten, also Arzt, Krankenhaus, Bestatter. Und schon hätte Niemand mehr Corona, allenfalls Grippe, und an Corona sterben würde auch Niemand mehr.
Et voilá: Pandemie beendet…
Einfach mal ein „Danke!“ von mir für Eure wertvolle Arbeit.
Zum DiVI-Intensivregister:
seit Anbeginn wird dort verfälschend dargestellt. Die Zeitreihen der Intensivbetten bilden immer den AUFBAU des DIVI-Registers mit ab. Das ist wissenschaftlicher Unfug. Eine Graphik soll EINEN Sachverhalt darstellen – nicht zugleich völlig unterschiedliche Aspekte. Was interessiert im Zusammenhang mit der Intensivbettenauslastung den Verlauf des reinen Aufbaus des Registers?
Der Aufbau des DIVI-Registers und damit der Verlauf der Kurve von 20. März 2020 bis Ende April 2020 könnte einem einfachen Gemüt suggerieren, dass die Intensivbetten erst ab Beginn der „Corona-Pandemie“ belegt wurden.
Ist das gewollt? Ich glaube, Ja!
(Oder warum wurde die diesen Umstand darstellende Grafik in den „zusätzlichen Zeitreihen“ versteckt? Nicht einmal in den Grafik-Beschriftungen findet sich der Hinweis auf dieses auffällige, SCHEINBARE ANWACHSEN der Belegung im Frühjahr 2020. So wird scheinlegal und pseudokorrekt manipuliert!)
Oh, dankeschön für die Veröffentlichung und Ihre ausführliche Analyse.
Und ich erinnere mich, wie ich im April morgens auf der Fahrt zur Arbeit schon Panik bekam, als in den Nachrichten ein bekannter Arzt sagte, dass die Intensivbetten ausgelastet sind.
An der Arbeitsstelle angekommen gab es im Kollegium nur ein Thema: so schnell wie möglich impfen lassen.
Vorsichtige Einwände von mir wurden empört zurückgewiesen, dass nun hauptsächlich Jüngere auf Intensiv wären.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen.
Aber dank dieses Blogs hier bin ich standhaft und hoffe, dass alle hier es auch bleiben.
Klar, das ging mir am Anfang, also im Frühjahr 2020, auch noch so. Dann plötzlich wurden Kranke aus dem Ausland (Italien, Frankreich, etc.) auf die Intensivstationen nach D verlegt. Es ist ja gut, wenn man sich hilft. Aber meine Überlegungen gingen auch weiter. Was, wenn ich auf die Intensiv müsste und es gäbe keine Betten mehr. Schließlich hieß es ja am Anfang „Flatten the curve!“. Würde man mir dann sagen: „Sorry, in dem für Sie vorgesehenen Bett da liegt jetzt ein Italiener, den können wir ja nicht raus schmeißen. Gehen Sie nach Hause und ersticken Sie dort!“?
Zum Glück ist es ja nie soweit gekommen. Aber man muss sich doch mal überlegen: einerseits hieß es wir haben nicht genug Betten, es könnte zur Triage kommen und andererseits packte man in die wenigen Betten dann noch Menschen aus dem Ausland. Das ist doch ein Widerspruch in sich, es sei denn, den Verantwortlichen waren die Deutschen egal (was ich durchaus für möglich halte).
Und genau das war ja dieses Jahr auch schon wieder der Fall. Uns erzählte man, man müsse die Zahlen niedrig halten ,deswegen müssten wir uns weiterhin einschränken und gleichzeitig brachte man Belgier auf unsere Intensivstationen, die keine Einschränkungen mehr hatten. So las ich jedenfalls.
Mussten wir uns also einschränken, damit die Belgier sich nicht mehr einschränken müssen?
So jedenfalls erschien es mir, als ich das mit den Belgiern las.
Ja ich bleibe standhaft, ich bleibe in der Kontrollgruppe. Die Studien laufen ja noch und ohne Kontrollgruppe (die ursprünglichen Mitglieder sind ja inzwischen auch fast alle geimpft) kann die Studie ja gar nicht abgeschlossen werden, oder? 😉
In den USA gab es für beatmete Patienten auch 3 mal soviel Geld…
ps:Die Bild hat den Betrug in einem Video auch gut dargestellt.Ich erinnere mich auch an eine Diskussionssendung von ein paar Monaten in der ein Arzt genau dies gesagt hat,am Tag als es mehr Geld gab stieg die Zahl der Intensivpatienten sofort,als es kein Geld mehr gab fiel sie sofort.Könnte auf Servus TV gewesen sein.